Heute wird wieder erwogen, beraten, gestritten, wie es weitergeht.

Im Strandhotel schauen wir auf morgen.

Im großen Speisesaal, in den Aufenthaltsräumen der oberen Etagen und in vielen Zimmern läuft der Fernseher, denn heute ist der Tag, an dem in Washington die neuen Präsident*innen vereidigt werden.


Das wollen wir sehen!

Zu Hause haben wir dieses Wochenende dauernd den Fernseher an.

Die Spiele der Handballweltmeisterschaften im „Land der Pyramiden“ finden nicht statt, wir schauen Skiweltcup: Riesenslalom der Damen, Slalom der Herren, Skispringen. Sogar Bob.

Es könnte schlimmer sein.

Im Strandhotel ist es sogar richtig schön. Das Meer in graublau.

Am Freitag kommt der Schnurrbart den Pfad zum Strandhotel herauf geklettert, obwohl der Aufzug schon seit gestern wieder fährt. Der Schnurrbart tut so, als ginge er gern zu Fuß zu uns herauf, dabei bleibt ihm gar nichts anderes über. Den Schlüssel zum Fahrstuhl besitzen nur wir.


Das Strandhotelküchenteam hat heute Quiche gemacht. Die wird warm oder kalt serviert, egal. Wer jetzt nicht möchte, kann sich ein Stück nehmen, zu jeder Zeit.

Der Schnurrbart kaut und erklärt. Für alles, was er jemals im Strandhotel gegessen hat, kennt er einen Trick, wie es noch besser, noch schneller und noch feiner zubereitet werden kann.
Wobei der Schnurrbart sagt: mondän. Der Schnurrbart weiß, wie es noch mondäner ginge.
Der Schnurrbart sagt: Am mondänsten!

MONDÄN – MONDÄNER – AM MONDÄNSTEN

Mürbeteig hilft.

In einer Arbeitspause werden Mehl und kalte Butterstückchen mit wenig Wasser und einer Prise Salz – manchmal mit ein bisschen Zucker – zu einem Teig geknetet.

Der Teig muss im Kühlschrank ruhen.
In eine Tarteform gebracht, ruht der Teig ein zweites Mal. Die Arbeit ruht nicht.
Anschließend wird blind gebacken. Das ergibt gegen Mittag einen Mürbeteigboden.

Und jedes Mal, wenn ich den Kühlschrank öffne und die Teigkugel reintue, raushole oder die Form mit dem Teig reintue, raushole –

Jedes Mal sehe ich mich anstelle des Mürbeteigs neben der Harald-Kiste liegen, um mich endlich auszuruhen.

Zu Hause gehen wir zwei oder drei Stockwerke hoch und sind froh, dass wir wieder in der Wohnung sind, obwohl wir eben noch froh waren, mal nach draußen zu kommen.

Der Blick in den Hinterhof verspricht genau das gleiche, wie der Blick nach vorne raus, auf die Straße:

So gut wie NICHTS.

Teona schaut trotzdem, weil sie eine neue Brille hat, und selbst das NICHTS so scharf sieht, wie schon lange nicht mehr.


Im Strandhotel hat Edith Brownies gebacken. Ich mache schon wieder einen Mürbeteig.

Nein.

Es weiß niemand mehr was. Auch nicht, wie lange es dauert, bis wir den Aufzug wieder benutzen können.
Eins der Gewinde ist fest gefroren, zu gefährlich, wir müssen Mehl, Milch und Hafermilch den Pfad entlang durch tiefen Schnee bis ganz nach oben zur Küchentür schleppen.

Wenn jede und jeder, die oder der kann, nur einmal pro Woche geht, brauchen wir überhaupt keinen Aufzug mehr, sagt der Opa und will gleich einteilen, wer, wann –
Soweit kommt es noch, meint Oma.
Das ist viel zu glatt, sagt die Nana.

Der Opa R. ist schon losgegangen. Sich auf Eis zu bewegen ist für ihn eine Selbstverständlichkeit, aber einen festgefrorenen Aufzug im Strandhotel hat er noch nicht erlebt. Die Kinder stapfen hinter ihm her an unserem verwunderten Esel vorbei.

PlanC

Kinder dürfen in den Kindergarten und in die Schule gehen. Oder eben nicht.


In Madrid hat es in der letzten Woche zu viel geschneit. Der Himmel grau und schwer.
Sollte Schnee nicht eigentlich ein Trost sein?


Auch an Ediths Strandhotel schneit und schneit und schneit es.
Weiche dicke Flocken, die Kinder strecken dauernd ihre Zungen heraus, um den Schnee darauf schmelzen zu lassen.

Kennt jemand das Gefühl von 10 Zentimetern Schnee auf kaltem Sand?
Mit nackten Füßen darauf zu stehen und dann mit kleinen, leichten Schritten bis ins Wasser hinein zu gehen? Kennt das jemand? Weiß jemand, dass das Wasser in der Bucht von Ediths Hotel sich dann beinahe warm anfühlt im Gegensatz zum Schnee auf dem Strand?


Weiß überhaupt noch jemand was?

Bei all den Zahlen, Kurven, Säulen, deren Anstieg wir mit Sorge beobachtet haben, gibt es jetzt eine neue, die im nächsten Jahr ruhig nach oben gehen darf.


Damit wir auch zu Hause wieder viele sein können.


In Ediths Strandhotel feiern wir nicht groß, aber wir reißen um Mitternacht Fenster und Türen auf.

Damit frische Luft reinkommt.
Damit wir aufs Meer sehen können.
Damit das Meer uns sehen kann.


Weil wir uns alle umarmen.

Und jetzt wird es wirklich ruhig.

Nach den Vorbereitungen auf die Feiertage, nach den Feiertagen selbst, folgt ein Sonntag.
Zu Hause verlängert dieser Sonntag sich auf unangenehme Weise in die ganze letzte Woche des Jahres hinein. Die Zeit, die wir


zwischen den Jahren


nennen, ist so schwer oder so leer, dass alle wieder zu planen anfangen. Wer wird mit wem und vor allem zu wievielt ein Raclette oder Fondue in welcher Wohnung …

Im Strandhotel schauen wir aufs Meer.


Wir haben keine Zeit zu verschenken und hören nicht hin, wenn der Schnurrbart das ganze 2020 verflucht.

Es war immerhin unser Jahr, sagt Edith.

Wir geben es nicht verloren, denn für viele ist es das erste oder das letzte gewesen.

Zweimal die 20.