Vol. 2 — Herbst/Winter 2020/21

Es wird teilweise heruntergefahren. So heißt das jetzt.

Wir Erwachsenen haben damit gerechnet. Wir haben unsere schlechten Gewohnheiten vom Frühling wieder aufgenommen und überbieten uns mit traurigen Statistiken.


Tagsüber arbeiten wir. Die Kinder in ihren ‚Kohorten‘.


Wenn zu Hause heruntergefahren wird, fahren wir im Strandhotel herauf.

Es ist warm, der Boden im Wald matschig, der Himmel hängt zu tief.

Vor den Supermärkten stehen die Leute wieder Schlange.

Im Strandhotel erhalten die Kinder die Erlaubnis, den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ‚Arschloch‘ zu nennen.

Opa nennt ihn seit Jahren so.

Wahlbrief um Wahlbrief um Wahlbrief um Wahlbrief ging direkt von unserem Strandhotel hinüber nach Amerika.

Zu Hause leben wir diese Woche nach PlanA.
Wir haben uns bereit zu halten für PlanB.

Im Strandhotel brauchen wir keinen PlanA oder B. Die Kinder machen täglich unzählige neue Pläne.

Edith schreibt auf:

Plätzchen backen jeden Tag
Mit der neuen Ritterburg spielen.
Für jedes Fenster im Strandhotel mindestens eine kleine wenn nicht eine große Laterne basteln.
Für den Weihnachtszirkus proben.
Aufzug fahren.
Hockey spielen. Bratsche spielen. Klavier spielen. Gitarre spielen und Bass.
Trommeln, flöten. geigen, trompeten …

IMMER SINGEN

Am Baum im Hinterhof ein paar gelbe und bräunlich verschrumpelte Blätter. Rote Dächer, verklinkerte Schornsteine, der Himmel so blau, dass wir uns fragen, ob dieser Herbst wie der Frühling wird?

Nur ohne Harald, meint Edith.


Harald ist eine Schildkröte. Und sie wohnt bei Ediths Freund Fritz. Wenn der Winter kommt, können Schildkröten nicht einfach so im Gehege bleiben, weswegen Harald gesäubert und behutsam in eine Kiste mit Erde gelegt wird. Er wird mit einer Handvoll Eichenblätter zugedeckt. Er schläft im Kühlfach bis –

Wahrscheinlich bis das Virus weg ist, sagt Edith.
Kackvirus, sagt Joseph.


Im Strandhotel müssen die Schildkröten im Herbst und Winter nicht in den Kühlschrank.

Morgens müde, zu spät dran. Brille beschlagen, Einkaufen nervt. Die Nachrichten geben uns den Rest.

Und nichts macht wirklich Spaß.

Im Strandhotel sind die Wahlen klarer ausgefallen und es können nun alle endlich wieder an die Arbeit gehen.

Wir quälen uns durch ein Wochenende, an dem jede und jeder von uns Wünsche hat, die keine und keiner erfüllen kann.

Die Kinder beschweren sich zurecht. Wir beschweren uns zurück.


Im Strandhotel gibt es jetzt ein Strandhotelküchenteam. Es ist eine Woche lang und vor allem an den Wochenenden für das Essen zuständig. Wer auf etwas bestimmtes Appetit hat, kriegt Unterstützung bei der Zubereitung. Die Kinder wollen kochen, backen oder Experimente machen? Können sie.

Wer auf nichts mehr Appetit hat, wem zum Thema Essen nichts einfällt, wer das Gefühl hat, sich mit nichts anderem zu beschäftigen, als mit dem Einkaufen von Lebensmitteln, dem Zubereiten von Speisen, und dem Verzehr von immer denselben Gerichten … der bekommt Hilfe von unserem Strandhotelküchenteam.


In der Küche wird sehr viel gelacht.


Auf den oberen Terrassen kommen Geruchs- und Geschmackssinne zurück