Vol. 1 — Frühjahr 2020

Im Strandhotel kann Edith sich nicht vorstellen, dass jetzt wirklich schon die sechste Woche beginnt. Dass wir nach dieser Woche immer noch nicht nach Hause fahren. Auch nicht für zwischendurch.

Joseph weiß nicht, wie lange eine Woche dauert, ein Monat, zwei oder ein Tag.
Er wundert sich langsam über gar nichts mehr, auch nicht über düstere Gesichter am hellen Strand oder über die vielen Zimmer, in denen Tag und Nacht gearbeitet wird.

Zu Hause lernt Edith:
Monday … Tuesday …  Wendsday … Thursday … Friday … Saturday … Sunday MondayTuesdayWendsdayThursdayFridaySaturdaySunday …

Im Strandhotel übt Joseph Lunes, martes, mercoles, juebes, vermes, sabado ….

FLAMINGO.

Und Oma spielt mit allen, die möchten, Kniffel am Strand.


Im Strandhotel geht keiner verloren. Schon gar kein Kind.
Wenn doch mal eins fehlt, oder zwei, müssen wir auf die Dachterrasse steigen und von oben die Umgebung mit Opas Fernglas absuchen.

Vielleicht ist auch der Aufzug stecken geblieben und die gesuchte Person ist da drin. Dann hören wir es rufen und pochen … Wir holen das Werkzeug und machen den alten Aufzug wieder heil.

Im Strandhotel geht keiner verloren, und es ist Edith wichtig, dass keiner etwas bezahlt.
Im Strandhotel sorgen wir einfach so für einander, denn das Strandhotel ist kein Geschäft.


Wir machen keine Geschäfte im Strandhotel. Wir verhandeln nicht.
Es darf niemandem etwas passieren. Und damit basta.

Es ist sonnig, windstill, ruhig.

Wir machen vorsichtig unsere Einkäufe. Wir laufen langsam durch die Straßen. Wir schreiben mit Kreide auf den Asphalt.

In Ediths Hotel sucht die Nana nachts nach dem Mond.

Wir nehmen uns vor, nicht so spät ins Bett zu gehen, sonst ist die schlechte Laune auch im Strandhotel vorprogrammiert. Leider war es letzte Nacht doch wieder spät, und vor lauter Müdigkeit motzen wir uns schon morgens in der Küche an.

Opa hält sich sein Fernglas vor die Augen, beobachtet den Himmel, beobachtet die Schaumkronen auf dem Meer. Es zieht heute sogar in der geschützten Ecke der großen Terrasse. Es zieht wie Hechtsuppe, sagt Oma, geht wieder rein und strickt den ganzen Tag. 

Es ist Freitag.
Es gibt Fisch.

Das Wochenende ist irgendwie: langweilig.
Der Sonntag noch mehr als der Samstag, und wir zerbrechen uns die Köpfe, was wir unternehmen könnten.

Wir wiederholen uns.

In Ediths Strandhotel stehen Datteln, Brot und ein großer Topf Harera für abends bereit, denn für die Nana hat die Fastenzeit begonnen.