Vol. 1 — Frühjahr 2020

In der siebten Woche kriegen wir sogar bei Edith im Strandhotel die Wut, denn wir wissen nicht, wie lange wir noch hier bleiben.

Wir schauen aufs Meer.

Es ist nicht wie mit den großen Ferien im Sommer, die zuerst anfangen und dann nach sechs Wochen wieder aufhören, damit etwas Neues oder zum Beispiel die Schule wieder anfangen kann.

Es fängt nichts an.
Und es hat nichts aufgehört.
Es geht einfach weiter jeden Tag.

Wir wissen nicht, worum wir uns zuerst kümmern sollen. Wir erledigen alles nur so gerade. Nur so halb.

Im Strandhotel ist es nicht so unordentlich wie zu Hause, und wir können uns besser aus dem Weg gehen.
Aber wir würden so gern viel mehr Leute zu uns holen. Wir würden gerne mehr tun.


Das erste Mal im Leben fühlen wir uns alt und grau. Ein Blick in den Spiegel sagt uns:

Wir sind auch alt. Wir sind grau.

Edith hat sich ihre beiden Lieblingslehrerinnen ins Strandhotel eingeladen, denn die Kinder würden jetzt wirklich sehr gerne mal wieder etwas lernen.

Bevor die Lehrerinnen eintreffen, wenn sie überhaupt eintreffen, bevor wir wieder nach Hause müssen, ist noch genug Zeit für Fußball am Strand. Für Hockey auf Gras.

Die Kinder spielen, während die Nana fastet und die Oma strickt und der Opa R. liest und du Musik machst und ich manchmal schreibe und Viviane zeichnet und …

Opa muss entscheiden, ob er mit der Babett hinaus fährt oder nicht, und er überlegt, ob wir an die Truhe mit den Reichtümern rangehen sollten. Oder nicht.

Heute hat niemand Lust zu kochen. Niemand von uns hat Lust die Tische erst zu decken und dann wieder abzuräumen. In Wirklichkeit hat niemand Lust überhaupt noch etwas von dem zu tun, was wir jeden Tag tun.

Jedenfalls nicht zu Hause.

Im Strandhotel sind nach Sonnenuntergang doch wieder alle in der Küche. Eine von uns macht dies, der andere das, ich mache jenes.

Wir essen und trinken zu viel.

Am Tag der Arbeit arbeiten wir.

Die Kinder schmücken eine hohe Birke mit Krepp-Papier. Sie klettern immer weiter hinauf, um die bunten Papierstreifen zu befestigen, sie sichern sich gegenseitig. Sie fallen nicht.


Am späten Nachmittag fangen wir an zu singen.
Wir tanzen um unseren nassen Maibaum herum.
Die Sonne kommt wieder heraus und trocknet das Maiherz aus Holz.


Wir drehen die Musik lauter.
Die Kinder trinken süße Erdbeerbowle. Die Erwachsenen Bier und später auch Schnaps.

Wir lachen und lachen und lachen das Virus aus.

Es ist das Wochenende von Onkel Gerhards Boule-Turnier und alle, wirklich alle machen mit. Der Strand in der Bucht unter Ediths Hotel ist übersäht mit Kugeln.


Beim Boule verlieren ist kein Weltuntergang, sagt Opa.
Überhaupt kein Drama, sagt die Oma, weil die Kinder sehr ungern verlieren.


Am Sonntagabend, in ihrem Zimmer mit der Nummer 13, fragt Edith, ob es den Weltuntergang wirklich geben könnte. Und ich sage: Nein!

Ich überlege. Ich sage:

Und wenn es ihn gibt, bemerken wir ihn wahrscheinlich nicht. Wir schlafen ein, die Welt geht unter und am nächsten Tag wieder auf. Ein Weltuntergang ist so ähnlich wie ein Sonnenuntergang, und vielleicht sitzt jemand auf dem Mond, sieht ihn sich an, und findet ihn schön.