Vol. 1 — Frühjahr 2020

Im Strandhotel können wir getrost verschlafen. Was wir montags vorhaben, können wir genauso gut dienstags machen.

Edith sorgt dafür, dass es beim Strandhotel – oder besser gesagt darüber – keine Seemöven gibt, keine schreienden Seemöven jedenfalls, denn das Strandhotel ist ein ruhiger Ort. Wie sie das hinkriegt, das wissen wir anderen nicht. An unserem Hotel vorbei, ein bisschen weiter den Küstenpfad entlang schreien sie wieder, die Möwen über dem Meer.


Hier bei uns werden die Kranken gesund.

Wir können nicht glauben, was für ein Glück wir haben, dass wir in Ediths Hotel trotz allem zusammen sind. Dass wir zusammen sind noch heute.

Zuhause waren wir schon lange nicht mehr so viele, auch wenn wir noch so sehr wollen, wir dürfen nicht.

Im Strandhotel kann es sein, dass alle gleichzeitig in der Küche sind, alle gleichzeitig im großen Speisesaal essen, dass sich alle gleichzeitig auf einer der größeren Terrassen treffen und alle gleichzeitig zuschauen, wenn Edith die Stühle in Reihen aufgestellt hat, weil Joseph bittet und bettelt: Gekko-Kino!

In Ediths Strandhotel werden die Feste nicht verschoben.
Wer feiern möchte, der feiert, egal ob es der 1. der 18. oder der 81. Geburtstag ist.
Die Kinder haben eine Liste aufgehängt mit den Geburtstagen aller 36 Kuscheltiere.

Nachmittags gibt es Torte und Kuchen, Waffeln, Luftballons, Eis.

Abends auf der Terrasse legen wir frischen Fisch auf den Grill und die Kinder servieren ihn mit Zitrone.


Wir lassen uns bedienen.
Die Kinder lieben es zu kellnern, wir Erwachsenen können reden, bis wir genug geredet haben.

Für Reisen in die Zeit der Dinosaurier hat Edith die Schutzblase erfunden. Die Kinder sagen blitzschnell „Schutzblase“, wenn beispielsweise der Triceratops kommt, und sie legt sich automatisch um ihre Körper herum. Man sieht diese Schutzblasen nicht. Man fühlt die Schutzblasen nicht.  

Aber sie schützen, die Schutzblasen.

Manchmal glaube ich, dass Edith eine Schutzblase für ihr Strandhotel aktivieren konnte, so dass es geschützt ist, das Hotel, obwohl hier alle aus und eingehen wie vorher auch.

Zu Hause haben wir nicht in einem Bett geschlafen. Auch nicht in einem Zimmer. Wir sind unausgeschlafen und unglücklich.

Im Strandhotel schlafen wir zu viert, zu dritt, zu zweit … Oder wir schlafen jeder für sich in frisch bezogenen Betten bei offenem Fenster. Es gibt so viele schöne Zimmer mit herrlichen Terrassen, und Zimmer mit winzigen Balkonen, dass wir sie alle probieren wollen, die Zimmer in Ediths Hotel.

Wenn wir im Strandhotel Nudeln machen, haben wir samstags von morgens bis abends zu tun. Den halben Tag hängen Nudelteigplatten zum Trocknen über den Terrassengeländern.

Am Nachmittag trocknen Fettuccine und Spaghetti auf der Wäscheleine, die Dachterrassen stehen voller Bleche mit Ravioli, Tortiglioni, Gnocci, Conchiglie, Orecchiette, Fusilli, Maccheroni, Cannelloni und Nudeln, die noch keinen Namen haben.

Am Samstagabend fallen wir erschöpft in unsere Betten.

Am Sonntag dann essen wir.

Die Tische im großen Speisesaal sind für alle Gäste gedeckt und jeder hat sein Lieblingsnudelgericht. Joseph isst ‚Salagne‘, Edith mag Farfalle, du bekommst Maltagliati, ich Fettuccine, die Oma und die Nana lieben Bandnudeln, Opa R. interessiert sich nicht für die Form der Nudeln, er kriegt Penne. Und unser Opa nimmt, obwohl er eigentlich am liebsten Kartoffeln isst, von allen, wirklich allen Nudelsorten …